Für Musik braucht man Töne. Aber was ist das, ein Ton? Welche Eigenschaft muss ein Geräusch haben, um ein Ton zu sein und eben nicht nur ein Geräusch? Töne müssen ein Musikstück tragen können, z.B. als Teil einer Melodie. Dafür taugen Geräusche unterschiedlich gut.
Hören wir uns das an. Zum Vergleich stehen vier Ideen für Musikinstrumente. Das erste Instrument ist ein normales Klavier. Beim zweiten schlägt der Spieler auf gedämpfte Becken. Beim dritten stößt er Champagnergläser zusammen. Beim vierten schlägt er mit einem Boxhandschuh gegen Sandsäcke. Vier Instrumente, die auf ganz verschiedenen Geräuschen beruhen. Nun der Versuch einer Melodie:
Klavier
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Becken
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Gläser
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Boxsäcke
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Mit dem Klavier und den Gläsern lässt sich spielen. Die Becken und die Boxsäcke dagegen können zwar einen Rhythmus produzieren, aber für eine Melodie sind sie nicht ernsthaft zu gebrauchen. Ihre Geräusche sind keine Töne.
Warum sind sie das nicht? Was fehlt ihnen?
Geräusche sind aus Luftschwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen zusammengesetzt. Diese Zusammensetzung lässt sich analysieren. Folgende Diagramme schlüsseln die vier Geräusche nach Frequenzen auf, und zwar über das gesamte hörbare Spektrum zwischen 20 Hz (links) und 20 kHz (rechts). Je mehr eine Frequenz im Geräusch enthalten ist, umso höher ist die Kurve an dieser Stelle. Lässt sich eine Besonderheit erkennen, die die Töne von den Nicht-Tönen unterscheidet?
Klaviersaite
Becken
Gläser
Boxsack
Die beiden Töne, also Klaviersaite und Gläser, zeigen auffällige Spitzen. Ein paar Frequenzen erheben sich weit über den Rest. Wenn das Ohr solche Spitzen braucht, um Töne zu hören, dann sind offenbar die Spitzen die eigentlichen Töne und der Rest nur Nebengeräusche. Für die Nicht-Töne dagegen zeigen die Diagramme eher kontinuierliche Kurven. Ein solches Geräusch ist quasi ein Brei von Frequenzen, aus dem für das Ohr keine herausstechen. Keine Frequenz, kein Ton. Töne sind Luftschwingungen mit einer bestimmten Frequenz.
Das bedeutet dann aber, dass auch die beiden Geräusche, die als Töne funktionieren, in Wahrheit aus mehreren Tönen bestehen. Für die Klaviersaite z.B. sind im Spektrum etwa zwanzig Spitzen erkennbar. Anscheinend passen diese Töne so gut zusammen, dass sie als einer wahrgenommen werden.
Nachdem wir nun wissen, was Töne von Geräuschen abhebt, wäre noch interessant herauszufinden, wie sich hohe und tiefe Töne unterscheiden. Welcher physikalische Umstand bestimmt über die Tonhöhe? Dazu suchen wir uns einen Ton mit wenigen Nebengeräuschen, spielen ihn in verschiedenen Höhen und analysieren jeweils das Frequenzspektrum.
Also, drei Töne:
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Die Spektren erweisen sich als folgende, in der gleichen Reihenfolge:
Erkenntnis: Die Tonhöhe hängt an der Frequenz der Schwingung. Langsame Schwingungen ergeben tiefe Töne, schnelle ergeben hohe. („Langsam“ ist hier natürlich relativ. Der tiefe Ton schwingt schon fast 100 Mal pro Sekunde. Der hohe allerdings fast 4000 Mal. Übrigens: Dass der tiefe Ton hier so viel breiter erscheint als der hohe, ist der begrenzten Auflösung der Spektralanalyse geschuldet. In der logarithmischen Darstellung werden die Messpunkte bei den niedrigen Frequenzen weit auseinandergezogen und ergeben nur grobe Hügellandschaften. Eigentlich sind alle drei Töne Nadelspitzen im Spektrum.)
Musik soll schön sein. Dazu gehört in der Regel, dass die Töne harmonieren. Wir wollen auch das physikalisch untersuchen, und zwar mithilfe der eben gewonnenen Erkenntnis, dass Töne Frequenzen sind. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wenn hier (oder allgemein in der Musik) von „Harmonie“ die Rede ist, dann geht es nicht direkt ums Gefallen. Mancher hat vielleicht ein Faible für Dissonanzen. Es geht um das objektive Phänomen von Einklang, Spannungsarmut, Konsonanz - und damit nur indirekt ums Gefallen, denn Einklang ist, was die meisten Menschen bevorzugen.
Was also lässt zwei Töne harmonieren? Ein Test soll das klären. Zu hören sind zwei Streichinstrumente, die hundert mal gleichzeitig einen Ton spielen. Beide beginnen mit der gleichen Frequenz, 600 Hz. Das erste Instrument bleibt bei 600 Hz. Die Frequenz des zweiten nimmt mit jedem Ton um 3 Hz ab, bis hinunter auf 300 Hz.
Es ist eine gewisse Herausforderung, jede Paarung für sich zu bewerten und den Grusel der vorangegangenen zu vergessen. Es geht darum, in diesem dreiminütigen Schauerstück, das der Soundtrack eines Horrorfilms sein könnte, die flüchtigen Momente von Harmonie auszumachen. Vielleicht erkennen wir aus den Frequenzen, die an diesen Stellen tönen, was das Wesen der Harmonie ist.
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Es beginnt leidlich harmonisch. Das liegt aber nur daran, dass die beiden Töne hier noch fast gleich sind. Diese Stelle hat für uns keine Aussagekraft. Dann kommt erst mal eine lange Passage, die komplett unharmonisch ist. Es folgt etwa zwischen 540 Hz und 500 Hz ein diffuser Abschnitt mit einer gewissen Harmonie, wobei sich aber die Art der Harmonie irgendwie zu wandeln scheint. Anschließend wird es wieder unharmonisch, mit einzelnen harmonischen Hotspots. Auffällig sind die harmonischen Stellen um die Positionen 450 Hz und 400 Hz herum, sowie die allerletzte Paarung bei 300 Hz. Etwas weniger auffällige Harmonien finden sich in den Gegenden von 480 Hz und 360 Hz.
All diese Frequenzen stehen jeweils der Frequenz des anderen Tons von konstant 600 Hz gegenüber. Mit etwas Sinn für Zahlen erkennt man, was es mit diesen Paarungen auf sich hat. Harmonie hat offenbar mit dem Verhältnis der Frequenzen zu tun:
Frequenz 1 | Frequenz 2 | Verhältnis |
600 Hz | 480 Hz | 5∶4 |
600 Hz | 450 Hz | 4∶3 |
600 Hz | 400 Hz | 3∶2 |
600 Hz | 360 Hz | 5∶3 |
600 Hz | 300 Hz | 2∶1 |
Natürlich kommt jedes Verhältnis von Frequenzen irgendeinem Verhältnis natürlicher Zahlen nahe, aber wir haben nur sehr kleine Zahlen in der Liste. Ein einfaches Verhältnis wie 4∶3 ist harmonisch, ein komplexes wie 10∶7 ist es nicht. Je kleiner die Zahlen in der Verhältnisformel, desto größer die Harmonie.
Mit diesem Verständnis ist nun auch erklärbar, was es mit dem längeren harmonischen Abschnitt auf sich hat, der im Test um 500 Hz herum zu hören ist. Dort folgen mehrere schwache Harmonien so dicht aufeinander, dass sie nicht klar zu trennen sind, z.B. 8∶7 bei 525 Hz und 7∶6 bei 514 Hz.
Dass sich das menschliche Gefühlsleben für Zahlenverhältnisse interessiert, erstaunt im ersten Moment, ist aber durch Gewöhnung erklärbar. Man mag, was man kennt. Wir hatten oben einen flüchtigen Blick auf das Frequenzspektrum einer Klaviersaite geworfen und dort eine Reihe von Spitzen ausgemacht. Sehen wir noch mal genauer hin. Wo liegen diese Spitzen?
Die erste liegt bei 200 Hz, die folgenden bei Vielfachen davon: 400 Hz, 600 Hz, 800 Hz usw. Das ist eine typische Zusammensetzung klarer natürlicher Klänge. Klang entsteht durch Schwingung. Meistens erlaubt die Physik an einer Stelle aber mehrere Schwingungen, die nicht einzeln, sondern nur als Komplex angeregt werden können. Hier beim Klavier schwingt eine Stahlsaite, also ein elastisches Gebilde zwischen zwei festen Endpunkten. Damit sind verschiedene Schwingungen möglich, und jede hat eine andere Frequenz.
×1 | ×2 | ×3 | ×7 |
Die Animation ist natürlich verlangsamt, und die Ausschläge sind stark überzeichnet. Die langsamste der Schwingungen ist die über die gesamte Länge, im Bild also die ganz linke. Die Frequenzen der übrigen Schwingungen, der sogenannten Obertöne, sind Vielfache davon, hier exemplarisch die Obertöne mit doppelter, dreifacher und siebenfacher Frequenz. Selbst die dreißigfache Frequenz wäre bei einem tiefen Ton noch leise zu hören. All diese Schwingungen existieren gleichzeitig und überlagern sich.
Der Klang setzt sich aus den Frequenzen aller Schwingungen zusammen. Akustisch dominant sind dabei aber die niedrigen Vielfachen: ×1, ×2, ×3, ×4, ×5. Deren Frequenzen stehen zueinander in einfachen Verhältnissen. Deshalb sind natürliche Klänge von einfachen Frequenzverhältnissen geprägt. Daran sind wir gewöhnt, das finden wir schön.
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