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Neben Klang und Melodie gehört die Abfolge der Akkorde zu den bestimmenden Eigenarten eines Musikstücks. Jede Abfolge hat einen anderen Charakter, und selbst bei Beschränkung auf die sechs harmonischen Akkorde, die mit den üblichen Tonarten verfügbar sind, ergeben sich schon zahlreiche potenzielle Varianten.
Die Akkordfolgen der Popmusik sind in der Regel einfach. Im letzten Teil, als es um Akkorde ging, hatten wir zwei Beispiele für Akkordfolgen in Popsongs (Jane Weaver, Coldplay). Es sind in beiden Fällen vier Akkorde, die aufeinander folgen. Dem aufmerksamen Leser/Hörer ist vielleicht aufgefallen, dass sich diese Akkordfolgen im direkten Anschluss identisch wiederholen - und wiederholen und wiederholen. Nur der Klang verändert sich ab und zu, die Akkorde verhaften in der Dauerschleife. Solche Zyklen gehören zum Wesen der Popmusik. Gebräuchliche Bezeichnungen dafür sind z.B. Akkordschema oder Chordprogression (vom englischen „chord progression“). Abstrakt gesprochen: Kern eines Popsongs ist ein einfacher harmonischer „Rohling“. Dieser wird vielfach dupliziert und, damit das Ganze nicht langweilig wird, aufwändig gestaltet.
Um uns ein paar Akkordfolgen anzusehen, brauchen wir zunächst eine geeignete Darstellung. Sie sollte unabhängig von der konkreten Tonart sein, um auch Songs mit verschiedenem Grundton vergleichen zu können. Musiker verwenden zur Angabe von Akkordfolgen gern die Stufentheorie, also z.B. I-IV-V-I. Leider ist solch römischer Zahlensalat für Nichtmusiker etwas schwer verdaulich. Ich verwende deshalb eine grafische Darstellung. Erinnern wir uns, dass die leitereigenen Akkorde einer Dur- oder Moll-Tonart jeweils Reihen mit dem Abstand einer Quinte bilden:
Dieses Muster ist sehr systematisch. Wenn wir es um 90° nach links drehen, erhalten wir drei Ebenen von Akkorden, wobei jede Ebene gegenüber der darunter liegenden um eine Quinte erhöht ist. Parallelen liegen auf der gleichen Ebene und können wie bisher an der Farbe unterschieden werden: Dur gelb, Moll blau. Die sechs Akkorde sehen dann so aus:
Der Grundakkord der Tonart ist bei Dur der dritte in der Reihe, bei Moll der vierte, in jedem Fall ist aber das mittlere Kästchen gefüllt. Durch Erweitern des Rasters nach oben und unten können zur Not auch Dur- und Moll-Akkorde dargestellt werden, die nicht zur Tonleiter gehören, denn wenn man nur um genügend viele Quinten nach oben oder unten verschiebt, gelangt man von jedem Akkord eines Typs zu jedem der elf anderen. Andere Akkorde als Dur und Moll, also z.B. verminderte Dreiklänge und Vorhaltakkorde, können durch andere Farben dargestellt werden, auf eine genau Definition sei hier aber verzichtet.
Achtung: das Verschieben eines Akkords um eine Quinte nach oben kann die Tonhöhe ebensogut absenken wie erhöhen, denn die Akkorde können sich ja aus allen Oktaven bedienen. Die sechs Akkorde könnten in der oben gezeigten Reihenfolge z.B. so klingen:
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Die Muster der Akkorde können wir horizontal nebeneinander setzen, um die zeitliche Abfolge abzubilden. Eine Spalte von Kästchen soll für einen Takt stehen.
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Drei Akkorde, die Schleife zwanzig mal wiederholt, Welthit. (Ganz ohne Wertung, natürlich.)
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Vier Akkorde, jeweils einen halben Takt gespielt - eine Schleife von gerade einmal 4½ Sekunden.
Die Akkordfolgen entfalten verschiedenen Charme und erfreuen sich entsprechend verschiedener Beliebtheit. Das hat leider zur Folge, dass die besonders schlüssigen auch die besonders abgedroschenen sind. Eine extrem verbreitete Variante ist folgende, Musiker nennen sie I-V-VI-IV:
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Der Zyklus kann auch an einer anderen Stelle beginnen, z.B. folgendermaßen - in diesem Fall steht das Stück meistens in Moll:
Wer darauf achtet (und gute Ohren hat) kann diesen Zyklus mit dem einen oder anderen Startpunkt in zahlreichen Pop-Produktionen entdecken. Ein gutes Indiz ist der einzelne Moll-Akkord, der den Reigen der Dur-Akkorde durchbricht.
Die australische Spaß-Band The Axis of Awesome hat diverse Songs, die den Zyklus einsetzen, zu einem schaurigen Medley verwurstet. Zu den unfreiwillig Mitwirkenden gehören U2, Lady Gaga, Elton John, die Red Hot Chili Peppers und die Beatles. Die Melodien sind verschieden, aber es wird klar, dass sie auf das immer gleiche harmonische Fundament gezimmert sind.
Wenn der Pianist am Ende das Schema verlässt und kurz Jazz-Klänge anschlägt, fühlt sich das an wie die Befreiung aus der Pop-Matrix.
Weitere Beispiele (300+) gibt's in der Wikipedia.
Ja, es geht auch anders. Hier besteht der Zyklus (oben) aus zwei Varianten eines Grundmusters. Ein Kunstwerk aus Dur-Akkorden. An einer Stelle wird durch einen einzelnen halben Takt sogar der 4/4-Takt gebrochen. Einer der Zyklen ist stark modifiziert (unten, auf „dark“) und steigt auch direkt mit einem Moll-Akkord ein.
Ein Zyklus aus 16 Takten, durchexerziert in diversen Musikstilen vom typischen Daft-Punk-Sound über Jazz bis hin zu klassischen Streichern.
Klassische Songstruktur mit Strophe, Vorrefrain und Refrain, alle mit verschiedenen Akkordfolgen. In der Strophe vier verschiedene Dur-Akkorde, was bedeutet: einer davon gehört nicht vollständig zur Tonleiter, er ist ein chromatic chord.
Diverse chromatic chords, darunter am Ende des Refrains und als Überleitung zum Grundakkord ein verminderter Dreiklang.
Ein Song mit Tonartwechsel. Die Strophe in Dur, der Refrain in Moll. Es handelt sich hier aber um die Paralleltonarten, d.h. sie bestehen aus den gleichen Tönen und Akkorden. Nur die Funktion der Töne und Akkorde wechselt.
Noch ein Tonartwechsel, wieder die Strophe in Dur und der Refrain in Moll. Diesmal wird aber nicht zwischen Paralleltonarten gewechselt, sondern es bleibt der Grundton gleich (E-Dur und e-Moll). Einige Töne von Strophe und Refrain sind also verschieden, und auch die Akkorde sind ganz andere, sie sind um drei Quinten verschoben.
Hier haben wir ein Stück Musikgeschichte. Chromatic chords und andere Spielereien mit der Tonart sind, soweit es die Popmusik betrifft, eine Erfindung der 1960er. Zu den Pionieren gehörte eine Band, die zuvor eher mit gutgelaunter Surfmusik aufgefallen war, die Beach Boys. Als Meilenstein gilt das Album "Pet Sounds", von dem dieses Stück stammt. Bevor der Zyklus mit der Textzeile „God only knows what I'd be without you“ im harmonischen Muster einer Tonart ankommt, eiert er erst mal acht Takte darauf zu. Das ist auf jeden Fall ungewöhnlich. Ob es auch schön ist, entscheidet der Hörer für sich. Aus der Wikipedia erfährt man: „God Only Knows is often praised as one of the greatest songs ever written.“ Nun denn.
Die Assoziation von Fröhlichkeit mit Schlichtheit ist in der Musik voreilig.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es geht hier nicht um die Komplexität von Musik. Denn natürlich ist der Blick auf die Akkordfolge ein einseitiger, er ist ein Aspekt unter vielen. Musik kann auf ganz verschiedene Arten komplex sein. Darunter sind auffälligere als die Abfolge der Akkorde. Musik kann den Hörer in eine exotische Klangwelt entführen, sie kann ihn mit einem dichten Arrangement überwältigen, mit einem gebrochenen Rhythmus verstören oder mit einem aufwändigen Solo verzücken. All diese Qualitäten erfordern keine komplexe Akkordfolge, und oft werden sie in einer schnöden Vier-Akkorde-Schleife dargebracht. Umgekehrt finden sich verzwickte Akkordzyklen häufig in Kombination mit Standardklängen und einem einfachen Arrangement.
Tatsächlich sind die Akkorde sogar noch komplizierter, denn Vierklänge sind ja im Bild unterschlagen. Wie der jazzige Stil schon ahnen lässt, sind das hier einige.
Allgemein sollte man als Laie vorsichtig damit sein, die Komplexität von Musik zu beurteilen. Man hat einfach nicht für alles ein Ohr und lässt sich außerdem leicht von Oberflächlichkeiten täuschen. Da säuselt auf der einen Seite ein Schlageropa über seine große Liebe. Auf der anderen kreischen die Gitarren, und der Sänger presst verstörende Texte ins Mikro. Schon glaubt man, das Erste sei musikalisch schlicht und das Zweite komplex. Aber man kann auch komplex säuseln und schlicht pressen.
Das soll an Beispielen genügen. Die meisten der zig Millionen Popsongs finden sich akkordtechnisch eher am einfachen Ende des Spektrums. Wer den Zyklus seines Lieblingssongs wissen will: Dank fleißiger Menschen ist das Web in dieser Hinsicht sehr ergiebig.
Ein Blick über den Pop-Tellerrand zeigt, dass es Vier-Akkorde-Schleifen auch anderswo gibt. (Ein Kästchen steht hier ausnahmsweise für mehrere Takte, übrigens Tripeltakt, und die Grafik zeigt die komplette Passage.) Aber die Schleife ist hier gut getarnt. Gleiche Akkorde sind verschieden ausgeführt, einige sind umgekehrt oder um eine Oktave verschoben, in der Mitte verschiebt sich die ganze Komposition um eine Quinte (Tonartwechsel), die Tonhöhe und die Dichte des Arrangements steigen beständig an. Das Ganze klingt, als gäbe es einen unendlichen Vorrat an Akkorden, aus dem immer neue entnommen werden können.
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Interessant ist natürlich auch der Vergleich zwischen Popmusik und klassischer Musik. Die Akkordstruktur ist dafür nicht gerade optimal, aber sie ist eben das System, das in diesem Rahmen zur Verfügung steht. Einen Eindruck vom Unterschied kann sie durchaus geben.
Klassische Kompositionen machen viel weniger als Popmusik von durchgehenden Akkorden Gebrauch. Zwar bilden sich bei mehrstimmiger Musik permanent Akkorde aus den Tönen der verschiedenen Stimmen, aber diese wechseln meistens schnell und prägen die Musik nicht so stark wie Akkorde, die einen ganzen Takt lang bestehen bleiben. Die hier verwendete Ansicht ergibt deshalb in vielen Fällen keinen großen Sinn. Aber es gibt auch relativ „akkordische“ Stücke, die sich leidlich in das Muster zwängen lassen.
Achtung: die Grafik möchte gescrollt werden!
Aus diesem Blickwinkel ist der auffälligste Unterschied zur Popmusik der geringe Einsatz von Wiederholungen. Teil A wiederholt sich ein einziges Mal - was aufgrund seiner Länge nicht einmal sehr auffällt. Teil B wiederholt sich gar nicht. So erklärt sich die Menge an musikalischem Material, obwohl das Stück kaum länger ist als das eingangs aufgeführte "Sign of the Times".
Wir hatten schon festgestellt, dass die Akkorde einer Dur- oder Moll-Tonart (und bei Kirchentonleitern ist es nicht anders) eine Art von Verwandtschaft bilden.
Die sechs Akkorde entstehen auseinander durch Verschieben um eine oder zwei Quinten (in der Darstellung vertikale Richtung) und durch Wechsel zum Parallelakkord (Farbe). Wir können die sechs grafisch in einem Block zusammenfassen:
Nach oben und unten ist dieses Diagramm aber offen, dann natürlich können die Akkorde in beiden Richtungen um weitere Quinten verschoben werden. Verschiebt man den kompletten Block um eine Quinte, landet man bei den sechs Akkorden einer anderen Tonart.
Wenn z.B. die linken Akkorde zur Tonart C-Dur gehören, dann gehören die rechten zur Tonart G-Dur, eine Quinte höher. Die beiden Tonarten haben vier Kästchen gemeinsam, also vier harmonische Akkorde. Um vier gemeinsame Akkorde haben zu können, müssten sie auch fast alle Töne gemeinsam haben. Ist das so?
Ja. Zwei Dur-Tonarten, deren Grundton sich um eine Quinte (sieben Halbtöne) unterscheidet. Sie haben sechs ihrer sieben Töne gemeinsam, nur die rot markierten nicht.
Verschiebt man den Block um eine weitere, zweite Quinte, bleiben nur zwei gemeinsame Akkorde und fünf gemeinsame Töne. Bei der dritten Quinte gibt es keine gemeinsamen Akkorde mehr. Je weiter man um Quinten schiebt, umso weniger verwandt ist die Tonart zur ursprünglichen. Jedenfall bis zu einem gewissen Punkt, denn irgendwann kommt man bei diesem Geschiebe wieder dort heraus, wo man begonnen hat. Interessant ist, dass dieser Kreis sämtliche Dur- und Moll-Akkorde sowie alle zwölf Tonarten des gleichen Geschlechts erfasst. (Der mathematische Grund dafür ist, dass 7 und 12 keinen gemeinsamen Teiler haben.) Die Quintenschieberei formt eine Ordnung der Akkorde und Tonarten, den sogenannten Quintenzirkel. Jede Dur- und jede Moll-Tonart hat in diesem Kreis ihren Block von Akkorden.
Der Quintenzirkel ist so etwas wie die Ahnentafel der Tonarten. Je näher sich zwei Tonarten dort stehen, umso enger sind sie verwandt.
Nun werfen wir nochmal einen Blick hierauf:
Strophe und Refrain verharren wie bei den meisten Songs im Bereich einer Tonart. Auch der ausgefallene Instrumentalteil nimmt dort seinen Anfang und beginnt wie eine weitere Strophe, nur ohne Gesang. Dann bricht er aber aus und driftet in einer Abfolge von kleinen Überraschungen auf die gegenüberliegende Seite des Quintenzirkels.
Insgesamt sieht die Solo-Passage so aus, vor dem abschließenden Refrain geht es zurück in vertraute Gefilde:
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