zugehört: Woraus ist Popmusik gemacht?

Teil 5

Takt

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Alternative Playlist

Nachdem es bisher nur um die Verhält­nisse von Tönen ging, kommt in diesem Teil der Faktor Zeit ins Spiel. Musik­stücke sind in der Regel streng strukturiert, ihnen liegt eine gleich­mäßige Abfolge von Zähl­zeiten zugrunde. Die betonten Stellen im Gesang und im Spiel der Instrumente fallen ganz über­wiegend mit diesen Zähl­zeiten zusammen. Das Muster der Betonung wiederholt sich zyklisch. Ein solcher Zyklus aus wenigen Zähl­zeiten wird ein Takt genannt. Ein Takt beginnt mit der am stärksten betonten Zähl­zeit im Zyklus, die Zählung fängt dort wieder bei 1 an.

Ein Rhythmus als Beispiel. Zu hören sind zwei Takte mit jeweils vier Zähl­zeiten, also insgesamt acht Zähl­zeiten mit der Zählung 1-2-3-4-1-2-3-4. Achtung: Es geht hier erst mal nur um die Abfolge und den Zyklus der Zähl­zeiten, nicht um die konkrete Gestaltung der Zähl­zeiten, z.B. per Schlag­zeug. Diese kann je nach Rhythmus verschieden sein und bei gleich bleibendem Takt auch wechseln.

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Wie schon bei der Tonart, ist der Großteil der Popmusik auch in Sachen Takt nicht sehr experi­mentier­freudig. Meistens zieht sich ein nahezu konstanter Takt von der ersten bis zur letzten Sekunde durch das Stück, durch alle Strophen und Refrains und Gitarren­soli, durch sanfte wie intensive Passagen und selbst durch vermeint­liche Päuslein. Folgendes Beispiel verwendet durch­gehend den Takt von eben, 1-2-3-4-1-2-3-4.

Slade
My Oh My

Schön zu erkennen ist die Ausrichtung des Gesangs am Takt. Auf die erste, am stärksten betonte Zähl­zeit fallen nicht etwa die Anfänge der Text­zeilen, sondern die betonten Silben.

Die beiden Haupt­merkmale des Takts machen zusammen die Taktart aus: die Anzahl der Zähl­zeiten pro Takt und die zeitliche Länge einer Zähl­zeit. 6/8-Takt (gesprochen „sechs Achtel“) steht z.B. für sechs Zähl­zeiten pro Takt, die jeweils eine Achtel­note lang sind. Der weitaus größte Teil der Popmusik steht im 4/4-Takt, darunter auch obiges Beispiel, das somit Stellver­treter für Millionen Popsongs ist.

Der Takt hat natürlich viel mit dem Zyklus des Rhythmus zu tun und ist mit diesem oft identisch. Im Beispiel von eben ist das der Fall. Zwei Takte, zwei Zyklen:

4/4
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Das ist aber nicht immer so. Der Zyklus kann auch kürzer sein und wieder­holt sich dann eben schon innerhalb eines Taktes. Zwei Takte, vier Zyklen:

4/4
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Tom Petty
Runnin' Down a Dream

Das Zusammen­spiel von Melodie und Takt kann recht verschieden gewählt sein. Hier zwei extreme Varianten:

The Beatles
Yellow Submarine
Don Henley
The Boys of Summer

Bei "Yellow Submarine" stürzt sich die Melodie auf die betonten Einsen, besonders in der Strophe. Ganz anders bei "The Boys of Summer": dort geht der Gesang den Einsen über­wiegend aus dem Weg und begnügt sich mit den weniger betonten Zähl­zeiten 2, 3 und 4. Die Instrumente betonen aber sehr wohl die 1, was in der ersten Hälfte des Refrains zu so etwas wie einem Wechsel­spiel zwischen der Melodie und den Akkorden der Gitarre führt.

Tripeltakt

Andere Taktarten als 4/4 fristen in der Popmusik ein Dasein von wenigen Prozent Anteil, und zwar gemeinsam. Innerhalb dieser Gruppe wiederum dominiert Tripel­takt. Unter diesem Begriff werden alle Takt­arten zusammen­gefasst, deren Zähler (Zähl­zeiten pro Takt) durch 3 teilbar ist, also z.B. 6/8. Da der rhythmische Zyklus, wie eben gesehen, nicht immer mit einem Takt überein­stimmt, ist die genaue Taktart schwer zu erkennen. Eindeutig ist aber meistens die prinzipielle Zuge­hörigkeit zur Gruppe der Tripel­takte, da sich die Drei auch im Rhythmus wiederfindet.

Oft ist das ein Rhythmus aus sechs Achtel­noten, hier zwei Zyklen:

Tripeltakt
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Falls das einer schunkelig findet: Stimmt. Die meisten Songs dieser Art sind Balladen.

Metallica
Nothing Else Matters
The Moody Blues
Nights in White Satin

Andere Varianten kommen aber auch vor, z.B. dieser kurze Zyklus:

Tripeltakt
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Guano Apes
Innocent Greed

Die Achtel

Die Taktart beschreibt die Abfolge der Zählzeiten, aber sie lässt offen, was dazwischen geschieht. Auch dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die betonteste Stelle zwischen zwei Zählzeiten ist in der Regel die Mitte dazwischen. Im üblichen 4/4-Takt wären das also die mittig gelegenen Achtel­noten. Falls man die zählen möchte, spricht man sie als „und“, also 1-und-2-und-3-und-4-und.

Reggae
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Manche Stücke machen sich einen Spaß daraus, die mittigen Achtel stärker zu betonen als die Zählzeiten. Im Reggae z.B. ist das gang und gäbe.

Maxi Priest
Wild World

Auch am Timing dieser Schläge lässt sich herum­schrauben. Ein beliebtes Stilmittel ist das durch­gehende leichte Verzögern, genannt Swing. Alle Achtel­noten zwischen den Zählzeiten beginnen damit etwas später und sind folglich auch kürzer. Gleich­zeitig werden die Achtel­noten auf den Zählzeiten natürlich länger, weil die folgende Note später beginnt.

Bei leichtem Swing ist das kaum bewusst wahrzunehmen, zumal durch einen Laien. Die Musik klingt nur irgendwie anders, beschwingter eben. Es gibt aber auch sehr deftigen Swing. Die maximale Ausprägung ist erreicht, wenn die langen Achtel genau doppelt so lang sind wie die kurzen. Die langen haben dann 2/3 der Länge einer Viertel­note und die kurzen 1/3. Diese Variante hat auch einen eigenen Namen: Shuffle.

4/4-Takt mit regulären Achteln


4/4-Takt mit mittlerem Swing


4/4-Takt mit Shuffle


Von oben nach unten

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Einen astreinen, durchgängigen Shuffle hatten wir hier schon, nämlich "Yellow Submarine". Dort sind im gesamten Stück die Silben auf den mittigen Achteln maximal verzögert - im Refrain z.B. die Silben „-llow“ und „-ma-“ von „yellow submarine“ .

In manchen Genres ist der Shuffle häufig zu hören, z.B. im Rock 'n' Roll.

Chuck Berry
No Particular Place To Go

Dieses Stück deutet es schon an, z.B. bei den Gitarren-Einlagen: Der Shuffle ist ein Zwitter, er lässt sich auf zwei Arten interpretieren. Einerseits ist er die Extrem­form des Swing, also eine Unter­teilung der Viertel­noten in jeweils zwei Achtel­noten (binäre Teilung), die ungleich lang sind. Ebensogut kann man sich aber vorstellen, dass die Viertel­noten in jeweils drei Achtel­noten unter­teilt sind (ternäre Teilung), die alle gleich lang sind, und von denen jeweils eine schlicht nicht mit einem Ton besetzt ist. Das ist überhaupt nicht abwegig, denn ternäre Rhythmen existieren auch jenseits des Shuffle. Mit dieser Interpretation ist man mit dem Shuffle doch wieder in einem strengen Zeitraster gelandet, nur eben einem anderen.

4/4-Takt mit Shuffle


4/4-Takt mit allen Schlägen der ternären Rhythmik


Von oben nach unten. Shuffle ist ein ternärer Rhythmus und geht nahtlos in andere ternäre Rhythmen über.

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Insgesamt sind ternäre Rhythmen in der Popmusik aber eher ungewöhnlich.

Kim Wilde
Take Me Tonight

Synkopen

The Rolling Stones
(I Can't Get No) Satisfaction
ABBA
The Winner Takes It All

Zweimal der gleiche Rhythmus aus vier Tönen, bei den Rolling Stones gesungen als „I can't get no“ oder „Sa-tis-fac-tion“, bei ABBA als Klavier­sequenz, z.B. gleich am Anfang. Wie verhält sich dieser Rhythmus zum 4/4-Takt der Stücke? Auf welche Zählzeiten fallen die vier Töne?

Um den Takt deutlich zu machen, ist er hier als einfache Schlag­zeug­begleitung dazugelegt.

synkopiertes Piano
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Der einzige der vier Töne, der auf eine betonte Zählzeit fällt, ist der dritte, das „get“, er fällt auf eine 1. Schon der erste Ton ist gegen­über dem natürlichen Betonungs­muster der Taktart verschoben. Er lässt die betonte 1 aus und kommt erst bei der schwächeren 2. Noch bunter treiben es die übrigen beiden Töne, die nicht einmal mit einer Zählzeit zusammen­fallen, sondern dazwischen liegen.

Solche „Regelverstöße“ finden sich häufig in Musik­stücken. Darin liegt ein wichtiges Gestaltungs­mittel, ohne das viele Songs ziemlich banal klingen würden - „Morgen kommt der Weihnachts­mann“ lässt grüßen.

Verschiebungen gegen das Betonungs­muster der Taktart nennen Musiker Synkopen. Leider sind sie sich dabei selbst nicht einig, für welche Spiel­arten der Name gelten soll. Dass ich im Folgenden jede Unregel­mäßigkeit als Synkopierung bezeichne, ist gewagt. Der Leser möge aus diesem Abschnitt also bitte nicht haupt­sächlich den Namen des Stilmittels mitnehmen, sondern seine Existenz und seinen Klang. Wie Fach­leute die Sache nennen oder nicht nennen, ist für uns „Passiv­musiker“ am Ende nicht so wichtig.

Eine häufige Art von Verschiebung ist die vorgezogene 1. Dabei erklingt ein Ton, der nach strengem Taktmuster auf der 1 sitzen würde, schon eine halbe Zählzeit früher, bei 4/4-Takt also eine Achtel­note.

Depeche Mode
Shake the Disease

Erste Textzeile: „I'm not going down on my knees begging you to adore me.“ - Das „knees“ und die betonte zweite Silbe von „adore“ liegen jeweils nicht auf der betonten 1, sondern beginnen schon eine Achtel­note vorher und nehmen dann den Schlag der 1 mit. Gleiches findet sich im Refrain.

Folgender Song treibt das noch weiter und zieht im Refrain (der die ganze zweite Hälfte einschließt) die komplette Ausstattung der 1 auf die Achtel­note davor: Bass­drum, scheppernde Becken, Akkord­wechsel. Auf der eigentlichen 1 bleibt dann nur noch das sanfte Zwitschern des Ride-Beckens übrig.

Pearl Jam
Black

Zunehmende Synkopierung wirkt dramatisch, speziell beim Gesang.

3 Doors Down
Landing in London

Manche Stücke werden durch ihre spezielle Synkopierung regel­recht geprägt.

Radiohead
Pyramid Song

4/4-Takt mit einem synkopierten Piano-Rhythmus. Da andere Rhythmus­instrumente fehlen und außerdem die Akkord­wechsel ebenfalls unregel­mäßig sind, ist die Taktart kaum noch zu erkennen. Auch hier hilft wieder das Schlag­zeug, den Takt nachzu­vollziehen, und damit klingt das Ganze schon viel weniger verrückt:

synkopiertes Piano
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Grenzgänger und Exoten

Zurück zum Takt. Wie die Tonart, kann auch die Taktart innerhalb eines Stücks wechseln.

The Beatles
Lucy in the Sky with Diamonds

Die Strophen in Tripeltakt, die Refrains in 4/4.

Und gleich nochmal die Beatles.

The Beatles
With a Little Help from My Friends
Joe Cocker
With a Little Help from My Friends

Das Original steht in 4/4, die Cover­version von Joe Cocker ist auf Tripel­takt umgeschrieben. Das bringt einen ganz anderen Rhythmus und macht aus einem lässigen Stück ein dramatisches.

Dann gibt es noch den seltenen 7/4-Takt. Das sieht ziemlich schief aus, und man könnte erwarten, dass solche Stücke recht auffällig sind, aber das muss gar nicht sein.

Peter Gabriel
Solsbury Hill

Eine Fundgrube für Spielereien mit dem Takt ist der Rock, dort finden sich häufig exotische Varianten, Brüche und Wechsel.

A Perfect Circle
Gravity