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Teil 3 hat dargelegt, was es mit Tonleitern und Tonarten prinzipiell auf sich hat, und er hat in Form von Dur und Moll auch schon die beiden wichtigsten Vertreter vorgestellt. Dieser Teil taucht weiter in die Welt der Tonarten ein und beleuchtet diverse Varianten und Gestaltungsmittel. Es wird nun auch zunehmend die Popmusik in den Fokus rücken, nachdem die ersten drei Teile noch recht allgemeingültig waren.
Bevor es um Unregelmäßigkeiten und Alternativen geht, ein kurzer Blick auf das Normale. Soweit es die Tonarten betrifft, ist Popmusik keine Wissenschaft. Die meisten Songs beruhen auf einfachem Dur oder Moll, behalten eine einzelne Tonart von Anfang bis Ende bei und verwenden nur Töne, die zu dieser Tonart gehören.
Der Song durchläuft eine hübsche Dramaturgie und steigert sich zwischenzeitlich zum Getöse mit Streichern, Synthesizereffekten und einem Chor. Aber zur Tonart ist nur eins zu sagen: F-Dur.
Mancher hat vielleicht die Vorstellung, Popmusik sei eine rebellische und experimentierfreudige Form von Musik. Diesen Eindruck verdankt sie den Aspekten von Musik, die am einfachsten wahrzunehmen sind, nämlich Klang und gestalterischem Zierrat. Diesbezüglich ist Popmusik tatsächlich aufwändig. Was dagegen die musikalische Substanz angeht, die Töne und ihre zeitliche Abfolge, sind die meisten Popstücke ausgesprochen förmlich, einfach und streng.
Wir haben schon zweimal die Auswahl an Tönen reduziert, um die Harmonie der Musik zu maximieren. Die erste Reduktion in Teil 2 war drastisch: Wir haben die unendlich vielen Töne des Frequenzspektrums auf nur etwa hundert zusammengestrichen, die Töne des chromatischen Systems. Diese Auswahl haben wir hier weiter eingeschränkt. Von den zwölf Tönen einer Periode haben wir mittels Dur- und Moll-Tonleiter fünf wegfallen lassen, sieben sind übrig geblieben.
Manchmal wird das noch weiter getrieben. Es werden nochmals zwei Töne entfernt, nämlich die mit der geringsten Harmonie zu den übrigen. Es verbleiben dann also nur noch fünf Töne pro Periode, eine Pentatonik. Gegenüber Dur/Moll fehlen die kleinen Sekunden, also die Töne im Abstand eines Halbtons.
Dur
Dur-Pentatonik
Moll
Moll-Pentatonik
Im Gegensatz zu Dur- und Moll-Tonleiter kommt eine Pentatonik selten konsequent als Tonvorrat für einen ganzen Popsong zum Tragen. Es gibt komplett pentatonische Kinderlieder, im Pop hat man es aber eher mit pentatonischen Passagen zu tun, und auch dort ist nur die Melodie pentatonisch. Die Begleitung zur Melodie greift weiterhin auf alle sieben Töne der Tonleiter zurück, sonst könnten z.B. die meisten Akkorde nicht gespielt werden. Hier ein Stück, das sich schon weit auf der pentatonischen Seite bewegt. Der Gesang ist komplett pentatonisch, und das Gitarrensolo ist es ganz überwiegend auch, nur selten ist dort kurz ein nicht-pentatonischer Zupfer eingeschummelt.
Neben Dur und Moll existieren noch andere Tonleitern, die sind nur weniger gebräuchlich. Von einigen davon wissen wir im Prinzip schon. Wir hatten in Teil 3 gesehen, dass die Leitern von Dur und Moll bei periodischer Wiederholung das gleiche Muster aufweisen, sich also nur in der Wahl des Grundtons unterscheiden. Das Muster hat aber noch fünf weitere Töne, die ebenfalls als Grundton gewählt werden können, was fünf weitere Tonleitern ergibt.
Eine der Varianten ist eher theoretisch, denn ihr fehlt die (reine) Quinte über dem Grundton und damit ein harmonischer Grundakkord. (Um Akkorde wird es in Teil 6 gehen.)
Die übrigen vier werden Modi oder modale Skalen genannt, traditionell auch Kirchentonleitern. (Der Name rührt daher, dass diese Tonleitern die sakrale Musik des Mittelalters geprägt haben, bevor Dur und Moll in Mode kamen.)
Alle vier Modi sind in der Popmusik gelegentlich zu hören. Allerdings klingen sie Dur und Moll sehr ähnlich und nur leicht ungewöhnlich. Die Besonderheiten sind für Laien kaum wahrzunehmen, was mich einschließt. Deshalb soll eine dieser Tonleitern als Beispiel genügen: die phrygische, die sich nur in einem Ton von der Moll-Tonleiter unterscheidet:
Moll
Phrygisch
Beispiel Phrygisch
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In Moll würde das etwa so klingen
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Die Tonart eines Stücks ist nicht in Stein gemeißelt, sie kann zwischendurch wechseln.
Die einfachste Variante für einen Tonartwechsel: es bleibt alles, wie es ist, gleiche Melodie und gleiche Harmonien, nur dass alles auf einen Schlag um ein paar Halbtöne verschoben wird. Die Tonleiter bleibt gleich, aber wegen des geänderten Grundtons hat man es mit einer anderen Tonart zu tun. Sehr beliebt im Pop ist eine Verschiebung um zwei Halbtöne nach oben, auch bekannt als Truck Driver Modulation, weil es klingt, als würde die Musik einen Gang höher schalten. Meistens in der zweiten Hälfte angesiedelt, um bei den letzten Wiederholungen des Refrains noch einmal Dampf zuzugeben, hier ziemlich genau zum letzten Drittel hin.
Das darf nach Pop-Maßstäben schon überdurchschnittlich komplex genannt werden. Das Stück enthält eine Bridge („And there are voices…“), die zwei Halbtöne über dem vorangegangenen Teil steht. Danach (zwischen „wilder“ und „than the wind“) geht es nicht etwa die zwei Halbtöne wieder nach unten, sondern weitere zwei Halbtöne nach oben, so dass die hinteren Refrains eine große Terz höher stehen als die vorderen. Das Stück wandert durch drei Moll-Tonarten.
Eine andere Variante für einen Tonartwechsel ist, Strophe und Refrain verschieden auszuführen. Das Stück wechselt dann naturgemäß mehrfach hin und her, und dabei sind sogar Wechsel zwischen Dur und Moll möglich.
Strophen in Dur, Refrains in Moll. Übrigens einer der seltenen Fälle, in denen der Refrain dünner arrangiert ist als die Strophe.
Die naheliegendste Variation einer Tonleiter ist das Einstreuen von Tönen, die nicht dazu gehören. Da der Hörer an die Leitern gewöhnt ist, fällt das schnell auf. Zudem ergeben sich gewisse Dissonanzen, denn der Zweck der Leitern ist ja gerade die Harmonie. Ein Stück kann auf diese Art interessant und ungewöhnlich sein und sich aus dem musikalischen Einheitsbrei erheben.
Leiterfremde Töne können sowohl in der Melodie als auch in der Begleitung eingebaut sein, z.B. in den Akkorden. Beides kann ganz dezent erfolgen oder auch im Exzess.
Eigentlich ein Dur-Stück, aber kein leiterfremder Ton bleibt hier verschont. Auffällig ist z.B. im Refrain bei „We're tra-a-ash, you and me“ der harmonische Bruch auf dem „me“.
Übrigens ist klassische Musik in dieser Hinsicht geradezu wild und progressiv, verglichen mit Popmusik. Der Einsatz leiterfremder Töne ist dort nämlich keine bemerkenswerte Besonderheit, sondern der Regelfall.
Es gibt in der Musik keine Regel, die nicht gebrochen werden könnte. Letztendlich hat das chromatische System zwölf Töne, und es steht jedem Komponisten frei, sich daraus zu bedienen. Die klassischen Tonarten können dabei in weite Ferne rücken, theoretisch bis hin zur völligen Verabschiedung. Popmusik mag nicht der Inbegriff solcher Ambitionen sein, aber wer sucht, der findet vermutlich auch hier jeden erdenklichen Regelbruch.
Über weite Strecken eine unauffällige Komposition in althergebrachtem Dur. Für das kuriose Synthi-Solo in der zweiten Hälfte gilt das freilich nicht. (In Teil 7 werden wir sehen, dass der Wahnsinn durchaus Methode hat.)
Ein Vorreiter beim freizügigen Umgang mit der Tonart, veröffentlicht 1966. (Auch dazu mehr in Teil 7.)
Hier spielt ein Sequencer. Eine kurze Tonfolge läuft in der Dauerschleife und wird dabei immer wieder um ein paar Halbtöne verschoben. Das Ergebnis hat mit Dur oder Moll wenig zu tun. Das Stück verdankt seine entrückte Atmosphäre also nicht nur dem Klang der Synthesizer.
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Ohne Worte.
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